Kapitel 1 - Der Anfang
Die Zeit gefroren, fast zerbrochen,
Das Eis kriecht sacht gen Süden hin;
Ein Dunkel streift die alten Eichen,
Und Schatten flüstern leis darin.
Die Mauern wanken, schwer die Lasten,
Verbündete zu Feinden werd'n;
Vergangne Schwüre, alte Pflichten,
Verblassen wie ein ferner Stern.
Im Osten welken Blätter still,
Vergiftet schwarz der Erde Schoß;
Ein Sturm zieht auf, die Welt versinkt
In Zwist und Gier und eig'nem Los.
Doch tief im Dunkel glimmt ein Leuchten,
Ein Funke, der die Nacht durchbricht.
Kann Hoffnung neu die Welt erleuchten?
Erwachen wir zu neuem Licht?
Die Uhren schlagen nah am Ende,
Die Zeiger wandern stumm und klar;
Vielleicht ist jetzt die Zeit der Wende,
Und Zukunft wird, was gestern war.
Ein kalter Wind strich durch das verschlafene Dorf am östlichen Rand von Sturmland. Zwischen sanften Hügeln und dichten Wäldern, die wie stumme Wächter aufragten, hingen schwere Wolken über dem Regenfluss. Knorrige Äste der Stundenbäume griffen wie skelettartige Finger in den grauen Himmel, während der Duft von feuchter Erde und altem Holz die Luft erfüllte.
Gespenstische Schatten fielen auf die unebenen Straßen. Das leise Murmeln des Flusses erzählte von vergangenen Zeiten, während dunkle Weiden ihre Äste tief ins trübe Wasser tauchten. Hin und wieder durchbrach ein Fisch die Oberfläche, bevor er in der Tiefe verschwand.
In den einfachen Häusern aus Holz und Stein flackerte warmes Licht hinter verschlossenen Fenstern. Doch hinter schiefen Schornsteinen und leisen Gesprächen lag eine unausgesprochene Sorge. Jenseits der Donnerberge drohte eine wachsende Kälte, und Schatten krochen über den Horizont, als ermüdete das Licht selbst.
Mitten in dieser Stille stand die Dorfschenke, ein einfaches Gebäude aus dunklem Holz, bedeckt mit einem schweren Strohdach, das schon bessere Tage gesehen hatte. Sie war das Herz des Dorfes, auch wenn sie kaum mehr als ein halbvolles Fass, ein paar krumme Tische und einen knarrenden Tresen bot. Die wenigen Gäste waren schweigsame Männer—Arbeiter, die den Großteil ihrer Tage in den Minen oder auf den Feldern verbrachten. Sie kamen nicht, um Geschichten auszutauschen, sondern um sich ein wenig Abwechslung von den harten Stunden zu gönnen.
Hagen saß in einer dunklen Ecke, unauffällig und still. Der schwach beleuchtete Schankraum wurde von einem träge brennenden Kaminfeuer erwärmt, das gerade genug Wärme spendete, um die Kälte der Dämmerung zu vertreiben. Seine Hände umschlossen einen alten, zerkratzten Becher, dessen Inhalt längst kalt war. Er mochte es so. Er mochte die Kälte, die Schwere des Raums und dass niemand sich für ihn interessierte. Es war einfacher, in der Stille zu verharren, wo die Außenwelt nicht mehr als ein ferner Traum war.
Die anderen Männer plauderten leise, ihre Stimmen murmelten wie Wind in den Bäumen. Hagen hörte zu, verstand die Worte, ließ sie aber nicht wirklich an sich heran. Es waren einfache Gespräche, gespickt mit den banalen Sorgen des Alltags—die Ernte, das Wetter, der nächste Tag in den Schächten. Er hatte keinen Anteil daran, und sie schienen ihn nicht zu vermissen. Für sie war Hagen nur ein Schatten am Rande ihres Bewusstseins, jemand, der nie zu viel sprach und immer für sich blieb.
Er war groß und drahtig, die Schultern gebeugt vom jahrelangen Arbeiten in den Minen. Sein schwarzes Haar fiel ihm in Strähnen ins Gesicht und verdeckte gelegentlich seine hellen blauen Augen, die trotz der Dunkelheit um ihn herum einen unergründlichen Glanz hatten. Seine Haut war vom Staub der Schächte stumpf geworden, seine Hände waren grob, voller Schwielen und kleiner Schnitte. Doch etwas an ihm zog Blicke an—eine stille Präsenz, die schwer zu ignorieren war. Er lebte in der Dunkelheit, sowohl in der äußeren Welt als auch in jener, die tief in ihm selbst verborgen lag. Die Jahre im Schacht hatten ihn gezeichnet und verändert, ihn von einem halben Kind zu einem Mann geformt, dessen Blick mehr verriet als Worte es je könnten.
„Noch einen, Süßer?“ fragte die Schankwirtin Else, eine große Frau mit kräftigen Armen und einem scharfen Blick, der stets abschätzte, wie viel Bier sie noch verkaufen konnte, bevor die Müdigkeit die Männer nach Hause trieb. Ein Hauch von Wärme lag in ihrer Stimme, als sie ihn ansah. Er mochte Else; sie sprach nicht viel, fragte nicht nach, aber manchmal schien es, als ob sie mehr verstand, als er preisgab. Als er nur stumm den Kopf schüttelte, lächelte sie leicht, zuckte mit den Schultern und wandte sich ab, um einem anderen Gast nachzuschenken.
In ihren Augen war er mehr als nur ein stiller Beobachter, mehr als ein Schatten unter vielen. Sie bemerkte die Unruhe in seinen hellblauen Augen, die Sehnsucht nach etwas, das jenseits der Schächte lag. Doch selbst sie konnte nicht erahnen, wie tief der Schacht in ihm wirklich reichte, wie viel Dunkelheit und Sehnsucht sich in seinem Inneren sammelten.
Manchmal, wenn er allein durch die Dorfstraßen ging, fühlte Hagen die Blicke der Dorfbewohner auf sich, spürte das leise Flüstern, das ihm folgte wie ein kalter Windstoß, der ihn unruhig machte. Er war Teil des Dorfes, doch zugleich auch ein Fremder, ein Wanderer in einer Welt, die ihn nur halb akzeptierte. Und so saß er dort, in der Schenke, den Becher fest umklammert, die Augen ins Nichts gerichtet, während die Zeit still an ihm vorbeizog—ein Zeuge des Lebens, das er doch nie wirklich lebte.
Er blickte hinüber zu den anderen Gästen, die am großen Tisch lachten und tranken. Sie schienen zufrieden mit ihrem Leben, wie es war—oder vielleicht waren sie einfach nur besser darin, sich daran zu gewöhnen. Ein Teil von ihm beneidete sie. Ein anderer fragte sich, ob sie nicht dieselben Gedanken hegten wie er—ob sie jemals davon geträumt hatten, dem eintönigen Leben zu entkommen.
„Einmal, Junge, einmal“, murmelte einer der älteren Männer am Tisch und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter. „Hast du jemals die weißen Reiter gesehen, als sie hier durchzogen?“
Das Gespräch verstummte kurz, und der Mann, auf den die Frage zielte, nickte nachdenklich. „Einmal, ja. War ein Anblick, das sag ich dir. Sie sind wie nichts, was man hier draußen kennt. Rein und strahlend ...“
Hagen lauschte mit halbem Ohr. Die Stimmen um ihn herum verschwammen, während seine Gedanken abdrifteten. Die Erinnerung an die weißen Reiter kehrte zu ihm zurück, wie ein flüchtiger Schatten aus einer Zeit, die ihm inzwischen wie ein fremder Traum erschien. Er war ein kleiner Junge gewesen, kaum groß genug, um über die Holzzäune des Dorfes zu schauen, als sie zum ersten Mal erschienen waren—die weißen Reiter des Königs, so weit am Rande des Königreichs, dass selbst die Ältesten sich nicht erinnern konnten, wann sie das letzte Mal hier gewesen waren.
Hagen hatte sie mit großen Augen beobachtet, versteckt hinter den hölzernen Pfosten der Schmiede. Die Männer auf ihren majestätischen Himmelsgleitern, schimmernd wie eine schneeweiße Flotte in einem Meer aus Schatten, hatten etwas Unnahbares an sich. Ihre Rüstungen glänzten im fahlen Licht, und die Banner, die sie trugen, flatterten stolz im Wind, als sie durch die Straßen ritten. Alles an ihnen strahlte eine Mischung aus Macht, Ehre und Freiheit aus, die den kleinen Hagen in den Bann zog. In seiner kindlichen Vorstellung waren sie mehr als nur Männer—sie waren Helden, die Träume in ihre Fußstapfen pflanzten.
Er hatte davon geträumt, einer von ihnen zu sein. Als sie durch das Dorf zogen, hatte er jedes Detail in sich aufgesogen: den Klang der Hufe auf dem Pflaster, das Knarren der Lederriemen, das leise Klirren der Schwerter an ihren Seiten. Noch Wochen später war er durch die Gassen gerannt, ein Stock in der Hand, den er wie ein Schwert schwang, während er sich vorstellte, in glänzender Rüstung gegen unsichtbare Feinde zu kämpfen. Er wollte weg aus dem engen Dorf, hinaus in die Welt, hoch über die Wälder fliegen, die den Horizont verschlangen, und all das sehen, was ihm in den Geschichten seiner Großmutter wie unerreichbare Wunder erschienen war.
Doch die Jahre hatten den Glanz dieser Erinnerungen verblassen lassen. Hagen hatte bald gelernt, dass Träume oft mit der harten Wirklichkeit kollidieren. Die Minen hatten ihn fest im Griff, und der ständige Hunger seiner Familie ließ keinen Raum für kindliche Fantasien. Die Himmelsgleiter waren verschwunden, die Reiter längst vergessen, und er blieb zurück, gefangen zwischen den feuchten Wänden der Schächte und der eintönigen Härte des Alltags. Sein Traum, ein weißer Reiter zu werden, war einer von vielen, die er aufgeben musste, vergraben tief unter den Schichten aus Staub und Steinen, die sein Leben bestimmten.
Jetzt waren es nur noch Geschichten, die durch die Schenke zogen, wie der Rauch über den Tischen. Geschichten, an denen er keinen Anteil mehr hatte. Der ferne Ruf der weißen Reiter, einst so klar und verheißungsvoll, war kaum mehr als ein leises Flüstern in seinem Hinterkopf, übertönt von der Stille und der Schwere, die sich um ihn gelegt hatten.
Die Schenke begann sich zu leeren, als die Nacht ihren dichten Mantel über das Dorf legte. Einer nach dem anderen verschwanden die Männer in die Dunkelheit, ihre schweren Stiefel klapperten über das Kopfsteinpflaster, das die Straße säumte. Hagen war einer der Letzten, der aufstand. Er schwankte leicht, mehr von der Schwere des Metes in seinem Bauch als von seinem Kopf. Der Abend hatte sich wie zäher Honig hingezogen, doch jetzt, da er vorbei war, fühlte er die vertraute Leere in sich zurückkehren. Es war dieselbe Leere, die ihn jeden Abend heimsuchte, eine stumme Erinnerung daran, was er verloren hatte und was er nie erreichen würde.
Er trat hinaus in die Nacht, wo die Luft kühl und feucht war. Nebel hatte sich über die Felder und Wege gelegt, wie ein schwerer Schleier, der die Stimmen der Nacht dämpfte. Der Mond hing wie ein blasses Auge über den Bäumen, beleuchtete schwach den Weg, der sich vor ihm erstreckte. Das Licht schien auf die gezackten Silhouetten der Stundenbäume, deren Äste sich in grotesken Formen gegen den Himmel erhoben. Ihre knorrigen Stämme waren von Narben übersät, und ihre silbernen Blätter raschelten leise im Wind.
Im schwachen Mondschein konnte Hagen die Ausläufer des Gebirges erkennen, das sich wie eine schützende, aber auch bedrohliche Wand um das Dorf erhob. Die steinernen Riesen schienen schlafend über das Tal zu wachen, ihre Gipfel verloren in Wolken und Dunkelheit. Zwischen den Berghängen, wo die Schächte lagen, arbeitete sich der Pfad steil hinauf, um dann in die Tiefe der Minen zu führen – ein dunkler Schlund, der die Männer des Dorfes Tag für Tag verschlang und erst bei Sonnenuntergang wieder freigab. Die Waldhänge schlossen sich eng um die Schächte, und nur einige wenige Weiden schafften es, ihre Wurzeln in den kargen Boden zu graben und sich an den steilen Abhängen festzukrallen.
Ein schmaler Weg schlängelte sich durch das Tal und verlor sich in der Ferne, als würde er das Dorf in die weite Welt hinausführen. Doch Hagen hatte das Tal nie verlassen. Einmal, als er ein Kind war, hatten sie sich aufgemacht – seine Familie und ein paar andere aus dem Dorf – und waren einen ganzen Tag lang Richtung Süden gewandert, bis sie die Hügel erklommen hatten und das weite Land vor ihnen lag. Er hatte damals zum ersten Mal die Ebene gesehen, die sich endlos in alle Richtungen erstreckte, mit ihren Feldern, Flüssen und fernen Wäldern. Ein Gefühl von Freiheit und Unendlichkeit hatte ihn ergriffen, doch wie alles andere war auch dieser Augenblick verflogen, verblasst in den Jahren harter Arbeit und der Enge des Tals.
In der Schenke hatten fahrende Händler von fernen Ländern erzählt, von den eisigen Welten des Nordens, wo Nordmänner mit stählernen Blicken und schweren Äxten herrschten. Sie sprachen von einem großen Meer, das hinter den Bergen im Süden lag, bevölkert von Piraten und Gottkönigen, deren Reichtum und Grausamkeit legendär waren. Es gab Geschichten von weiten Wüsten und tiefsten Dschungeln, von Tieren so groß wie Häuser, die durch endlose Steppen zogen, und von Seeungeheuern, die auf den Grund der tiefsten Gewässer lauerten. Für die Kinder des Dorfes waren diese Erzählungen wie Funken in der Dunkelheit, kleine Flammen, die den tristen Alltag für einen Moment erhellten.
Doch für Hagen waren es nur noch Geschichten. Der Graf, der über das Dorf wachte, forderte seinen Tribut in Form von harter Arbeit in den Minen, und als Gegenleistung bot er Schutz und Ordnung. Das edle, starke Königreich, von dem die Händler sprachen, war für Hagen kaum mehr als ein ferner Traum – ein Märchen, das sich irgendwo jenseits der Berge abspielte, unerreichbar und unwirklich.
Hagen blieb für einen Moment stehen und starrte auf die Bäume. Die Zeitfrüchte hingen wie blasse Glühwürmchen zwischen den Zweigen, pulsierend und leuchtend in einem schwachen Rhythmus, als ob sie selbst das Ticken der Zeit in sich trugen. Die Frucht des kommenden Morgens schien nur darauf zu warten, gepflückt zu werden, bereit, die nächste Minute, die nächste Stunde freizugeben. Sein Atem wurde sichtbar in der kühlen Luft, während er an den Donnerhals dachte – diese mächtige Kreatur, die sich tagsüber zwischen den Ästen bewegte. Wie oft hatte er sie gesehen, wie sie sich niederließ, die gewundenen Früchte verschlang und die Stunden mahlte, bevor sie wieder in den Himmel emporstieg? Der Gedanke ließ ihn frösteln. Die Vorstellung, dass auch er nur ein weiteres Rad im großen Getriebe der Zeit war – gefangen in einem endlosen Zyklus, wie der Donnerhals, der immer wieder kehrte, um seine Jungen zu füttern.
Sein Leben schien nicht viel anders. Jeden Tag stieg er in die Schächte hinab, arbeitete bis zur Erschöpfung, nur um abends wieder hinaufzukommen und sich in der Schenke zu verlieren. Die Geschichten von Helden und Abenteuern hatten längst ihren Glanz verloren, und die Realität der Minen hatte seine Träume in den Staub getreten. Und doch, tief in ihm, schwelte noch immer ein Rest dieser alten Sehnsucht – ein Funke, der sich trotz der Dunkelheit nicht ganz ersticken ließ. Während er den Blick über die kargen Weiden und die unruhigen Waldhänge schweifen ließ, spürte er die vertraute Leere in sich zurückkehren. Es war dieselbe Leere, die ihn jeden Abend heimsuchte, eine stumme Erinnerung daran, was er verloren hatte und was er nie erreichen würde. Ohne noch einen Blick zurück zu werfen, trat er hinaus in die kalte, sternenlose Nacht, sein Weg beleuchtet nur von dem schwachen Schein der wenigen verbliebenen Laternen.
War das alles, was es für ihn gab? Ein endloser Kreis aus Arbeit und Trägheit, aus dem es keinen Ausweg gab? Er schüttelte leicht den Kopf, als wollte er die düsteren Gedanken vertreiben.
Die Nebelschwaden krochen tiefer über den Weg, als er weiterging. Die Straße führte ihn aus dem Dorf heraus zu einem kleinen Bauernhof, der sich am Rande des Waldes befand. Das Haus war alt, mit abblätternder Farbe an den Fensterläden und einem einstöckigen Dach, das sich unter der Last der Zeit zu biegen schien. Hier lebte er zur Untermiete – ein einfaches Zimmer im hinteren Teil des Hauses, wo er für ein paar Münzen einen Platz zum Schlafen hatte.
Er zog den Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die knarrende Tür. Das Innere des Hauses war still und dunkel. Nur das schwache Licht eines kleinen Ofens glomm im Flur und spendete genug Wärme, um die Kälte des Abends fernzuhalten. Er schloss die Tür leise hinter sich und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Die Schritte auf den knarrenden Dielen verrieten ihm, dass er allein war. Der Bauer und seine Familie schliefen bereits – oder sie hatten sich einfach in ihre eigenen Ecken des Hauses zurückgezogen, so wie sie es jeden Abend taten.
Sein Zimmer war spartanisch eingerichtet. Ein schmales Bett stand in der Ecke, neben einem einfachen Tisch und einem abgenutzten Stuhl. Die Decke war niedrig, und das kleine Fenster ließ nur wenig Licht herein. Es war kein Ort, an dem man lange bleiben wollte, aber es war ausreichend für das, was er brauchte. Er ließ sich auf das Bett sinken, das unter seinem Gewicht knarrte, und starrte an die Decke.
Die Worte der Männer in der Schenke klangen ihm noch im Kopf nach – die Geschichten von den weißen Reitern, die einst durch das Dorf gekommen waren, und der sicheren Welt, die sie einst versprochen hatten. Aber es waren nur Geschichten, so alt und verstaubt wie die Wände, die ihn umgaben. Die Realität war anders – kalt und erbarmungslos. Es gab keine Rettung für jemanden wie ihn, keinen edlen Ritter, der ihn aus dem Staub der Schächte holen würde. Alles, was er hatte, war die nächste Stunde, die nächste Minute, die vor ihm lag.
Er zog die Decke über sich und schloss die Augen. Die Stille der Nacht umhüllte ihn, als ob die Welt selbst für einen Moment den Atem anhielt. Doch tief in seinem Inneren, irgendwo in der Tiefe seines Bewusstseins, konnte er das stete, unerbittliche Mahlen der Zeit hören – wie Zahnräder, die unaufhaltsam ineinandergreifen und ihren unentrinnbaren Lauf fortsetzen. Der Rhythmus war kalt, gleichmäßig, ein Takt, der nie innehalten würde, ganz gleich, wie sehr er sich danach sehnte.
Er lag da, umgeben von der Dunkelheit seines Zimmers, und ließ die Gedanken treiben. Sie führten ihn zurück zu einer Zeit, als die Welt noch klarer und einfacher schien. Die Tage, in denen die Ritter wie Götter durch das Dorf zogen und die Kinder mit offenen Mündern ihren Himmelsgleitern hinterhersahen, waren nun verblasste Erinnerungen. Doch diese Bilder, so alt sie auch waren, kehrten in der Nacht oft zu ihm zurück – wie Geister aus einer verlorenen Vergangenheit, die ihm keine Ruhe ließen.
Er drehte sich auf die Seite und zog die Decke fester um sich, als könnte sie ihn vor der Schwere dieser Gedanken schützen. Aber nichts schützte ihn vor der Wahrheit, die wie ein unsichtbares Gewicht auf seiner Brust lag. Die Ritter kehrten nie zurück. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, und hinterließen nichts als die Erzählungen der Dorfbewohner, die sich von Generation zu Generation fortsetzten.
Er hatte in den folgenden Jahren gemerkt, dass die Zeit anders floss, sobald man erwachsen wurde. Früher war jede Stunde ein kostbares Gut gewesen, jeder Augenblick schien wichtig und aufregend. Doch nun... Nun zogen die Tage an ihm vorbei wie schwerfällige Schatten, die sich kaum voneinander unterschieden. Seine Zeit war zäh und bedeutungslos geworden, ein grauer Brei aus immer gleichen Momenten.