Kapitel 3 - Zwischen den Sandkörnern
Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, und ihr Licht spiegelte sich auf den silbernen Rüstungen der Ritter, die durch das Dorf ritten. Über ihnen zogen die Himmelsgleiter in majestätischen Kreisen, die Schwingen weit ausgebreitet, während der Wind das Knistern der Banner und das leise Rascheln der Blätter mit sich trug. Hagen stand in der offenen Schmiede, auf einer alten Kiste, die ihn gerade so weit hob, dass er alles gut sehen konnte. Mit großen Augen verfolgte er die Prozession, die sich durch die schmalen Straßen schlängelte.
Er staunte über das strahlende Glitzern der polierten Rüstungen, das gedämpfte Klirren der Schwerter an den Hüften der Reiter und die sanften, fast eleganten Bewegungen der Himmelsgleiter, deren metallene Flügel im Sonnenlicht funkelten. Für Hagen, der sein kleines Dorf selten verließ, wirkten die Ritter wie Helden aus den Geschichten, die man sich am Abend erzählte – stark, mutig, wie aus einer anderen Welt.
Die Blanchegarde, so hatte er gehört, waren die Wächter an der Grenze. Ihre Rüstungen und Himmelsgleiter, die prachtvoll und einschüchternd zugleich waren, flößten Hagen Respekt ein.
Er bemerkte nicht die besorgten Blicke der Erwachsenen um ihn herum, noch die leisen Gespräche über den Pakt, den sie hatten, und über das Land jenseits der Berge. Für Hagen waren es nur Geschichten, vage und fern, nicht mehr als Worte, die er nicht ganz verstand.
Die Luft war warm, erfüllt vom Duft frischen Brotes und blühender Wildblumen, die um die Schmiede herum wuchsen. Die Geräusche des Dorfes – Stimmen, Gelächter, das Klappern der Hufe auf dem steinigen Boden – verschmolzen zu einem lebhaften Hintergrund, während die Ritter unbeirrt ihren Weg fortsetzten. Hagen spürte das Vibrieren der Schwingen der Himmelsgleiter, ein leises, rhythmisches Surren, das in seiner Brust nachhallte und ihn mit einem Gefühl von Aufregung und Sehnsucht erfüllte.
Die Himmelsgleiter glitten so sanft wie Wolken über die Straße hinweg, ihre Flügel schlugen leise, und doch schufen das Prasseln der Flaggen und das Klingen der Kettenhemden eine tiefe, gleichmäßige Melodie, die sich in die Köpfe der Zuschauer einprägte. Hagen klammerte sich an den Rand der Kiste, die Augen weit aufgerissen, als ob er jeden Moment in sich aufsaugen wollte. Es war, als würde er durch ein Fenster in eine andere Welt blicken, eine Welt voller Möglichkeiten und Abenteuer, die ihm bisher verborgen geblieben waren.
Während die Prozession weiterzog, hielt er den Atem an, seine kleinen Hände fest um die Kiste geklammert. Er wollte einer von ihnen sein, einer dieser edlen Reiter, die hoch oben in den Himmelsgleitern durch die Lüfte flogen.
Neben den prachtvollen Rittern ritten Knappen in einfachen Wappenröcken, die stolz die Standarten ihrer Herren trugen und stets bereit waren, zu dienen. Ihre Gesichter waren jung, doch der Ausdruck in ihren Augen verriet, dass sie die Härte des Krieges schon früh kennengelernt hatten. Frauen in edlen Gewändern, die vor Anmut und Würde strahlten, folgten in einer Reihe, ihre Haare von Perlen und Seidenbändern zusammengehalten, während feine Tücher sanft im Wind flatterten. Ihre Pferde waren ebenso majestätisch wie die ihrer Herren, und das Glänzen der mit Gold und Silber verzierten Zaumzeuge ließ die gesamte Prozession erstrahlen.
Doch es waren die schwer beladenen Wagen, die den Jungen besonders faszinierten. Riesige Räder, verstärkt mit Eisen, rumpelten über das unebene Kopfsteinpflaster des Dorfes, beladen mit allem, was ein Heer auf langer Reise benötigte. Zelte aus dickem Leinen, dicke Wolltücher für die kalten Nächte, und Kisten voller getrocknetem Fleisch, Brot und Wein – all das wurde sicher verstaut, während die schweren Holzgerüste unter dem Gewicht ächzten. Er konnte sich vorstellen, wie sie abends die Lager aufbauten, mit Feuern, die den Himmel erleuchteten, und einem Mahl, das jeden Mann stärkte, egal wie erschöpft er war.
Das Geläut von Harnischen und Ketten, das Klirren von Schilden und Schwertern, die an den Seiten der Pferde baumelten, erfüllte die Luft mit einem tiefen, rhythmischen Klang, der wie eine ferne Glocke immer wieder durch das Dorf hallte. Es war das Geräusch von Macht und Stärke, das Geräusch, das die Ankunft der Ritter begleitete und ihnen einen fast überirdischen Glanz verlieh.
Er stellte sich vor, selbst auf einem dieser majestätischen Pferde zu sitzen, das Schwert an seiner Seite, die Rüstung glänzend wie die der Ritter, und vor ihm der weite Weg, der in die Welt hinausführte. Die Abenteuer, die Geschichten, von denen die Alten im Dorf sprachen, schienen greifbar nahe, als könnte er nur die Hand ausstrecken und sie ergreifen.
Und dann – der große Wagen. Vergoldet, glänzend, eine helle Fackel im strahlenden Tag. Die Pferde, die ihn zogen, waren so weiß, dass sie wie Licht selbst wirkten. Doch es war der Magier in der Kutsche, der seine Aufmerksamkeit fesselte. Regungslos saß er da, seine Roben schimmerten in Farben, die jenseits seines Verständnisses lagen. Sein Gesicht verbarg sich hinter einer Maske aus Gold und Silber, seine Augen fixierten das große, alte Buch, das in seinen Händen ruhte. Ein Zittern durchfuhr ihn, als der Magier den Kopf hob.
Die Augen des Magiers trafen ihn mit voller Wucht. Ein kalter Schauer jagte ihm den Rücken hinab, doch er konnte sich nicht abwenden. Er spürte den Blick des Magiers wie eine Kette, die ihn festhielt, ihn zwang, jede Bewegung zu beobachten. Die jubelnden Stimmen um ihn herum verstummten. Der Wind blieb plötzlich stehen, die Banner hingen regungslos in der Luft.
„Halt,“ sagte der Magier plötzlich. Seine Stimme donnerte durch die Luft, schnitt durch die Stille wie ein Schwert. Alles erstarrte. Die Himmelsgleiter verharrten in der Luft, die Pferde erstarrten in ihrer Bewegung, selbst der Wind gehorchte dem Befehl des Magiers.
Der Magier schloss das Buch mit einem dumpfen Klicken und erhob sich. Die Menschen um ihn herum fielen in die Knie, verneigten sich, als der Magier die Kutsche verließ. Sein Anblick überwältigte ihn. Der Magier glitt fast über den Boden, seine Roben flossen wie Wasser um seine Gestalt. Mit jedem Schritt wichen die Menschen vor ihm zurück, machten ihm Platz, als hätte er die Macht, die Zeit selbst zu biegen.
Sein Herz schlug schneller, als der Magier immer näher kam. Seine Augen brannten wie Feuer hinter der Maske, und ein kaltes, gnadenloses Lächeln breitete sich über sein verdecktes Gesicht aus. Er konnte sich nicht rühren. Alles in ihm schrie, wegzulaufen, doch seine Füße blieben wie angewurzelt.
Nun stand er direkt vor ihm, und er spürte die Schwere der Präsenz des Magiers wie einen Stein auf seiner Brust. Das Gesicht des Magiers kam ihm näher, die feinen Gravuren in der Maske funkelten im Licht, während die Augen des Magiers ihn ansahen, als ob sie etwas in ihm suchten, das er selbst nicht begreifen konnte.
„Ende,“ flüsterte der Magier leise, doch das Wort drang tief in ihn ein, es fuhr wie ein Dolch durch seine Gedanken. Der Boden unter ihm bebte, die Welt um ihn herum begann zu zerfallen.
Die prächtigen Banner, die noch vor einem Augenblick so stolz geflattert hatten, lösten sich auf, als wären sie aus Staub gemacht. Die glänzenden Rüstungen der Ritter verfärbten sich, verrosteten und zerbrachen, ihre stolzen Gesichter verwandelten sich in grauenhafte, schreiende Schädel. Er wollte schreien, doch seine Stimme blieb ihm im Hals stecken.
Der Himmel verdunkelte sich, die Himmelsgleiter, die noch vor kurzem so kraftvoll über dem Dorf geschwebt hatten, stürzten ab, ihre Flügel in Flammen gehüllt, als sie wie tote Vögel auf den Boden prallten. Die Dorfbewohner um ihn herum verwandelten sich in wandelnde Skelette, ihre fleischlosen Hände griffen in die Luft, während ihre Schreie sich mit dem Brüllen der Flammen vermischten, die plötzlich aus den Zelten und Wagen schossen.
Er blickte zu dem Magier auf, doch der blieb ungerührt. Der Magier lachte – ein kaltes, grausames Lachen, das die Schreie und das Feuer übertönte. Seine Augen bohrten sich in seine Seele, und er spürte, wie die Dunkelheit nach ihm griff. Die Erde unter seinen Füßen brach auf, schwarze Flammen züngelten nach ihm und verschlangen alles, was er kannte.
Er fiel.
Er fiel und fiel, während um ihn herum die Welt in Chaos versank. Sein Herz raste, seine Lungen brannten, und er wollte schreien – doch niemand hörte ihn.
Mit einem Keuchen wachte er auf. Schweiß klebte auf seiner Haut, seine Hände zitterten, als sie nach der Decke griffen. Er war im Lazarett, in der Dunkelheit, doch die Bilder des Traums ließen ihn nicht los. Der Schmerz und das Grauen aus dem Traum fühlten sich noch immer so real an, als wären sie nicht einfach verschwunden, sondern lauerten irgendwo im Schatten.
Seine Haut fühlte sich klebrig an vom Schweiß, sein Herz hämmerte, als hätte es in der Dunkelheit des Traums seinen eigenen Rhythmus gefunden – den Rhythmus der Angst. Es war vorbei, doch die Bilder blieben, eingebrannt in seine Gedanken: der Magier, die wandelnden Skelette, das zerfallene Königreich. Der Gedanke an das Wort „Ende“ hallte wie ein Nachklang durch seinen Verstand.
Er fiel und fiel, während um ihn herum die Welt in Chaos versank. Sein Herz raste, seine Lungen brannten, und er wollte schreien – doch niemand hörte ihn. Der Fall schien endlos, und die Dunkelheit war allumfassend, verschluckte alles um ihn herum. Kein Boden, kein Halt, nur ein unendlicher Abgrund, der ihn immer weiter in die Tiefe zog.
Mit einem Keuchen wachte er auf. Er riss die Augen auf, doch alles war verschwommen, die Konturen schienen zu tanzen, als wären sie nicht wirklich da. Schweiß klebte auf seiner Haut, und seine Hände zitterten, als sie ziellos durch die Leere griffen, vergeblich nach etwas Vertrautem tasteten. Er war nicht mehr in den Schächten, aber auch nicht wirklich in der Welt, die er kannte. Alles wirkte gedämpft, unwirklich, als ob er in einer Blase gefangen wäre, die ihn von der Realität trennte.
Die Dunkelheit um ihn herum war nicht die der Schächte, aber auch nicht die beruhigende Stille der Nacht. Es war ein bedrückendes, schweres Schwarz, das ihn umhüllte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Sein Kopf dröhnte, und jeder Atemzug fühlte sich an, als müsste er durch einen endlosen Tunnel gepresst werden. Der Schmerz in seinem Körper, der ihn beim Aufwachen überrollt hatte, war dumpf, aber stetig, wie ein Nachbeben der Katastrophe, die er durchlebt hatte. Er wusste nicht, wo er war, nur dass es nicht dort war, wo er sein sollte.
Er blinzelte, versuchte, seine Umgebung zu erfassen, doch das Bild blieb verschwommen, unfassbar. Schatten bewegten sich am Rande seines Sichtfeldes, flackerten wie Gespenster und ließen ihn kaum erkennen, was real war und was nicht. Das Bett unter ihm war hart und kalt, das Leinen kratzig auf seiner Haut, doch es fühlte sich nicht vertraut an, nicht wie der Boden der Schächte, den er kannte. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, als hätte es seinen eigenen Rhythmus gefunden – den Rhythmus der Angst und des verlorenen Halts.
Die Wände des Raums schienen auf ihn zu drücken, der schwache Geruch nach Desinfektionsmitteln vermischte sich mit der stickigen Luft. Sein Atem ging schwer, als wäre er noch immer gefangen in der Dunkelheit des Traums, aus der er gerade erwacht war. Er wollte sich aufrichten, doch ein stechender Schmerz schoss durch seine Seite, ließ ihn zurücksinken und benommen liegen. War er noch am Leben? War das wirklich real? Oder war er noch immer in jenem endlosen Fall, ohne Anfang und ohne Ende?
Hagen blinzelte in die Dunkelheit, die seine Gedanken umklammerte, während er versuchte, die schwachen Umrisse des Raumes zu erkennen. Ein dumpfes Brummen in seinem Kopf ließ ihn taumeln, und alles wirkte verschwommen, wie durch einen dichten Nebel hindurch. Sein Körper lag schwer auf der harten Pritsche, der Geruch von Desinfektionsmitteln vermischte sich mit dem modrigen Mief alter Wände. Die Dinge um ihn herum schienen gleichzeitig zu nah und doch unerreichbar, als wären sie in einer verzerrten Ferne gefangen.
Hagen konzentrierte sich auf das brennende Gefühl unter seiner Haut – ein scharfer Schmerz, der in Wellen durch seinen Körper zog. Seine Gedanken wirbelten um die Bilder des Unglücks: Felsbrocken, Staub, Schreie, und das beängstigende Gefühl, als wolle der Berg ihn in sich hineinzerren. Doch es war nicht nur der Schmerz, der ihn quälte, sondern vor allem die seltsame, lähmende Leere in seinem Arm, die ihn nicht losließ.
Langsam hob er seinen Arm, der sich schwerer anfühlte als sonst, als ob er ihn kaum bewegen konnte. Seine Finger griffen ins Nichts, und er erwartete, den vertrauten Druck seiner Hand zu spüren, das Kribbeln, wenn er sie ballte. Doch da war nichts. Nichts außer einer Leere, die in seinem Inneren widerhallte. Er sah hinab, die Dunkelheit schien sich um ihn zu schließen, doch ein flackernder Schein aus einer fernen Lampe erhellte gerade genug, um das Unvorstellbare zu offenbaren.
Sein Arm endete dort, wo seine Hand hätte sein sollen. Wo einst seine Finger waren, die so oft die schwere Spitzhacke umklammert hatten, war nur ein ungleichmäßiger Stumpf, bandagiert und blass. Das Blut schien ihm aus dem Gesicht zu weichen, als die Erkenntnis über ihn hereinbrach wie ein kalter Schauer. Seine Hand – seine rechte Hand, die ihm immer so selbstverständlich gedient hatte, war weg. Abgetrennt, verloren unter den Felsen, die sie unter sich begraben hatten.
Ein Schock durchfuhr ihn, ein Gefühl der Unwirklichkeit, als hätte er sich selbst nicht mehr in seinem eigenen Körper erkannt. Die Panik stieg in ihm auf, und er spürte, wie sein Herzschlag sich überschlug, unregelmäßig und heftig, als ob sein Körper gegen die Realität ankämpfen wollte. Er hob seinen Arm, wackelte damit, als könnte er die Hand einfach wieder erscheinen lassen, aber es war vergeblich. Die Leere blieb, unnachgiebig und grausam, ein ständiger, stummer Beweis für das, was ihm genommen worden war.
Seine Augen weiteten sich, und für einen Moment drohte ihm der Raum um ihn herum zu entgleiten. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, ein unangenehmes Dröhnen, das die restlichen Geräusche übertönte. Seine Finger zuckten ins Nichts, und die Geisterhand, die nicht mehr da war, schmerzte in einem Phantomgefühl, das ihn fast in den Wahnsinn trieb. Der Verlust war endgültig, die Hand unwiderruflich fort, und mit ihr all die Dinge, die er so selbstverständlich ausgeführt hatte. Das Greifen, das Halten, das Arbeiten – alles lag nun in einer unsichtbaren Zukunft, die er sich nicht vorstellen konnte.
Er wollte schreien, doch seine Kehle war trocken, und seine Stimme versagte ihm. Die Welt war still und schien ihn zu verspotten, während er dort lag, starr vor Schock und mit der Erkenntnis, dass sein Leben nie wieder so sein würde wie zuvor. Das Echo seines eigenen Herzschlags war das Einzige, das ihm Gesellschaft leistete, ein trauriger Rhythmus, der den Anfang eines neuen, fremden Daseins markierte.
Eine raue Stimme durchbrach plötzlich die Stille, zerschnitt die dichte, ungewisse Luft um ihn herum. „Hör auf, so zu winden. Du weckst hier die halbe Welt auf.“ Hagen drehte den Kopf, doch das Gesicht blieb im Halbdunkel verborgen, nur eine Silhouette, die sich gegen das flackernde Licht einer fernen Lampe abzeichnete. Die Stimme war rau und brüchig, schien aus weiter Ferne zu kommen, als ob sie durch einen Nebel zu ihm drang. Er wollte etwas sagen, eine Frage, einen Protest, doch seine Lippen fühlten sich schwer an, taub, als gehörten sie nicht mehr zu ihm.
Verwirrt drehte er sich zur Seite. Neben ihm lag ein Mann, alt und zerschlissen von den Jahren. Sein Gesicht war ein zerfurchtes Meer aus Narben und harten Zügen. Die Augen, kalt und abweisend, musterten ihn kaum. Alles an ihm wirkte, als wäre er durch ein Leben voller Kämpfe und Entbehrungen gegangen.
Der Mann sah Hagen kurz an, dann drehte er sich wieder weg und ignorierte ihn, als wäre nichts gewesen.
Hagen blieb allein mit seinen Gedanken und ließ seinen Blick langsam durch den düsteren Raum schweifen. Das Lazarett war spärlich beleuchtet; die Fackeln an den Wänden brannten schwach und warfen flackernde Schatten auf die Steinwände. Überall standen einfache, hölzerne Betten, viele leer, doch in einigen ließen sich schwach die Konturen von Körpern erahnen. Manche atmeten schwer, andere blieben reglos, in die Decken gehüllt, als wären sie schon Teil des Mobiliars.
Neben jedem Bett standen grob gearbeitete Waschpfannen aus Metall, gefüllt mit schmutzigem Wasser. Der Raum roch nach Blut, Schweiß und altem Mull, der in Ecken aufgehäuft lag. Das Geräusch des Tropfens von Wasser, das in eine der Pfannen fiel, durchbrach gelegentlich die Stille, während die stickige Luft schwer auf ihn drückte. Sein Blick blieb schließlich an einer Reihe von Sanduhren hängen, die an der gegenüberliegenden Wand aufgestellt waren. Jede Sanduhr war mit einem Namensschild versehen, und der feine Sand rieselte leise und gleichmäßig von einer Kammer in die andere. Es war seltsam. Ein merkwürdiges Symbol der Zeit, das über die Leben der Patienten wachte – und deren Restzeit anzeigte.
Die Sanduhr des alten Mannes war beinahe leer. Nur wenige Körner Sand hingen noch in der Luft und drohten, bald durch den schmalen Hals zu rieseln. Es war, als wäre sein Leben nur noch ein Wimpernschlag entfernt vom Erlöschen.
Dann fiel sein Blick auf seine eigene Sanduhr. Zu seiner Überraschung sah sie noch gefüllt aus. Der Sand rann stetig, aber langsam, und er atmete erleichtert auf. Er hatte es überstanden. Die Zeit schien ihm noch zu gehören.
Doch als er seinen Blick über seinen Körper wandern ließ, fiel ihm das Gewicht seiner Lage wieder ein. Unter den Verbänden und dem Mull fühlte er kaum etwas – sein Körper war eingewickelt wie eine zerbrechliche, beschädigte Ware. Vor allem seine linke Hand. Er wollte sie bewegen, doch da war nichts, keine Finger, kein Zucken. Ein Stumpf – das war alles, was von seiner Hand übrig geblieben war.
Der Schock war wie ein Blitz, der durch seinen Körper fuhr. Das Gefühl der Ohnmacht und des Verlusts ergriff ihn mit voller Wucht, und er konnte nicht anders, als die Hand, die einst war, in seinem Geist zu spüren, wie sie sich öffnete und schloss – doch jetzt war da nichts mehr. Er versuchte, sich zu bewegen, doch jede Anstrengung ließ ihn keuchend zurück in die Matratze sinken. Sein Körper war schwach, zerschlagen, und die Schmerzen durchzogen ihn wie Nadelstiche, die ihn lähmten.
Er starrte auf den Verband, der sich um den Stumpf zog. Die Realität seiner Lage setzte sich langsam in seinem Geist fest, doch sie fühlte sich an wie ein ferner Nebel, der sich weigern wollte, sich vollständig aufzulösen. Was auch immer in diesen Schächten geschehen war – es hatte ihm mehr genommen, als nur seine Zeit.
Er ließ den Blick erneut durch den Raum wandern, als ob er irgendwo einen Ausweg suchen würde. Doch alles, was er fand, waren die schlafenden, atmenden Körper, die Waschpfannen, die Sanduhren, die unaufhörlich weiter rieselten – und die Dunkelheit, die draußen auf ihn wartete.